Der Oeckl! Heiliger Bluthund der Radio-Recherche, erinnert sich noch jemand? Ziegelsteingroß, schwarz-rot-gold, die Bibel der Journalisten! Mit Nachnamen hieß „der Oeckl“: Taschenbuch des öffentlichen Lebens. Er schenkte uns auf zartem Gesangsbuchpapier sämtliche Ansprechpartner von Verbänden, Vereinen, Parteien, Institutionen, Medien, Universitäten… na es stand einfach jeder drin, der ein „Amt“ hatte oder irgendwas zu sagen hatte. Wenn wir also was von der Stiftung Warentest wissen wollten, suchten wir uns unter S den Pressesprecher raus, riefen da an und vereinbarten einen Interviewtermin. Und heute? Hat die Stiftung Warentest ein eigenes Tonstudio und schickt ihre O-Töne frei Haus in die Redaktionen. Was cool ist. So haben die Redakteure mehr Zeit für…

…haben sie nicht! Weil es beim (Privat-) Radio nämlich kaum noch Redakteure gibt. Da recherchiert keiner mehr für einen Beitrag. Was auch daran liegt, dass es kaum noch Beiträge gibt.

G wie Gebauter Beitrag, der: Beitragsform im Rundfunk, die von einer Kombination aus gesprochenem Text, O-Tönen und/oder Geräuschen, Musik etc. gekennzeichnet ist. Steht inzwischen auf der roten Liste vom Aussterben bedrohter Beitragsformen. Nur noch bei öffentlich-rechtlichen Radiosendern anzutreffen.

Na gut, ganz so schlimm ist es nicht, aber betrauernswert bleibt es doch. Ich habe da einen Koeffizienten erfunden, eine Faustregel, sowas wie das „Mooresche Gesetz“ zur Verdoppelung von Schaltkreisen. Demnach sind Radio-Beiträge pro Jahr meiner bisherigen journalistischen Tätigkeit um jeweils 3 Sekunden kürzer geworden. Von etwa 3 Minuten 30, die es in den späten 80ern noch sein durften bis zu den heutigen „Eins Dreißig“.

„Und bist Du noch so fleißig, es werden nur eins dreißig.“

Der Kampfschrei des modernen Radiowesens. 90 Sekunden, mehr verträgt der Hörer nicht. Das heißt: maximal drei kurze O-Töne, dazwischen je zwei Sätze Text, zack, Ende, Abmoderation. Seufz. Wie soll man da Geschichten erzählen, funkelnde Tonjuwelen schleifen? Dieser Eins-Dreißig-Fundamentalismus treibt mir manchmal die Tränen in die Augen. Und wir reden hier – im Fall von Audio-PR – von sklavischen Eins-Dreißig. Keine Eins Vierzig, keine Eins zehn, EINS DRRRRREISSIG!

Ich schweife ab. Zurück zum Thema Recherche. Denn da möchte ich die alten Zeiten definitiv nicht wiederhaben. Wie mühselig es zum Beispiel war, eine kleine, aber wichtige Zahl herauszufinden. Wie viele Einwohner hat München genau und wie viele davon kommen aus dem Ausland? Da bin ich seinerzeit zum Statistischen Amt der Landeshauptstadt München gefahren. Hingefahren!! Das muss man sich mal vorstellen, vom Stuhl aufstehen, mit der U-Bahn fahren, einen Menschen fragen, wieder zurück fahren… über eine Stunde für eine Zahl! Heute: Google. 10 Sekunden.

Überhaupt: passende Gesprächspartner finden – heute ein lauwarmes Fingerschnippen. Früher hatte ich einen Schrank voller Ordner, in denen von A bis Z Zeitungsartikel oder ähnliches mit über die Jahre gesammelten Experten, Buchautoren usw. geheftet waren. Heute kann ich mir auf youtube schon mal anschauen, wie der jeweilige Interviewpartner „rüber kommt“ oder ob er blöderweise „Wasser im Zahn“ hat.
Nein, Recherche im Zeitalter des Internets ist schon sehr cool.
Allein, was man findet, wenn man über Recherche recherchiert…