„Ja, jetzt isses gut, jetzt klingt‘s nicht so nach Radio“!
…sagte ein Kunde zu mir und ich musste erst mal schlucken. Da war er wieder, dieser seltsame Klimawandel im Umgang mit Kreativhandwerkern, dieser Mief der Verachtung des Professionellen. Seit vielen Jahren schon umweht er mich und je älter ich werde, desto ratloser macht er mich.
„Das klingt nach Radio!“ – ich jubele da innerlich und denke: „Danke, dann ist es professionell gemacht, klingt gut, ist unterhaltsam und nicht langatmig.“ Ich denke ja immer noch, dass bei der strategischen Planung und der Produktion von Podcasts 15 Jahre Radio-Erfahrung nicht schaden können. Deswegen frage ich mich immer wieder, welche negative Konnotation dahintersteckt, bei diesem „Iii Bääh, das klingt ja wie Radio!“
Ich habe natürlich eine Ahnung und die hat mit einem vor allem von Podcastern überstrapazierten Wort zu tun:
Authentizität!
Fast schon ein Kampfbegriff, den ich in meinen miesepetrigsten Momenten so übersetze: „Mein Mikro ist Müll, der Ton klingt scheiße, aber ich kann stundenlang ohne Punkt und Komma labern und die Schnittfunktion in Audacity finde ich nicht. Aber ich bin sowas von AUTHENTHISCH!“
Eine sachlichere Übersetzung wäre vielleicht:
Radio = unecht, künstlich, aufgesetzt, marktschreierisch, kommerziell, Plastik
Nicht Radio = ehrlich, ungeschnitten, sympathisch, echt, frei, eben: authentisch!
Die Ergebnisse lassen sich auf Apple Podcasts, Spotify oder Google Podcasts bewundern. Viele Podcasts der Jahre 2018 ff. in Deutschland folgen einer festen Formel: Zwei Personen (Freundinnen, Kumpel, Paarungen aller Art) setzen sich vor ein Mikro und reden. Über Sex zum Beispiel. Oder über Kinder. Oder über Sex. Eine riesige „Wir-sollten-sowas-wie-Fest&Flauschig- machen-nur-anders“-Blase. Manchmal lustig und/oder interessant, aber leider oft redundant und langweilig, manchmal auch erschreckend banal und schlecht.
Radioerfahrung für Podcastproduzenten – Mehrwert oder Makel?
Und da fange ich dann wieder an, mich leidenschaftlich zu ärgern. Das Umgehen und Arbeiten mit dem Rohstoff Stimme/Audio ist ein Handwerk. Und ein Radiosender ist ein Handwerksbetrieb, der Menschen für das Umgehen mit Stimme/Audio ausbildet. Nein, niemand MUSS ausgebildeter Radiohandwerker sein, um einen guten Podcast zu machen. Man kann das auch mit Anchor machen. Aber umgekehrt: Ein Podcast-Produzent MIT all diesen handwerklichen Fähigkeiten ist doch bitte ein Mehrwert und kein Makel!
Denn Radio ist so viel: Nachrichten, Interviews, Reportagen, Talkshows, gebaute Beiträge, Hörspiele mit hunderten O-Tönen/Geräuschen/Soundeffekten. Allein die verschiedenen Formate zu kennen und in spannende Podcast-Projekte zu überführen – passend zur Zielgruppe: Das macht den Profi aus. Es gibt mehr zwischen Mikro und Kopfhörer als „Zwei-Leute-labern-über…“.
Der goldene Schnitt – wenn die Rasierklinge raspelt
Auch die akustische Spreu vom Weizen trennen zu können, das Redundante vom Wichtigen, das Nervige vom „Authentischen“, ist ein Erfahrungsschatz. Denn ich bekenne: Ich schneide! Ich schneide Ähs, ich schneide Pausen, ich schneide Versprecher, ich schneide Doppelungen. Ich copy und paste aber auch. Atmer zum Beispiel. Wer spricht, atmet und wer atmet, macht Pausen. Die sind wichtig für den Sprachfluss und lassen die Sprache … jup: authentisch klingen. Ganz ohne Atmer und immer mit dem gleichen, atemlosen Sprechrhythmus wird das schnell nervig. Finde ich.
Manchmal kopiere ich sogar ganze Wörter. Denn frei sprechende Menschen lassen gerne mal Sätze hinten raus in der Luft hängen, vergessen ein abschließendes „gemacht“ oder so. Wenn also in einem inhaltlich sensationell guten O-Ton ein Wort fehlt und der Satz dadurch grammatikalisch unvollständig und damit unverständlich ist … dann durchforste ich die Roh-Aufnahme nach dem fehlenden Wort, kopiere es raus und füge es in den O-Ton ein.
Ist nicht authentisch. Aber cool und sinnvoll.