Corporate Podcasts. Okay, das ist: Zwei Frauen näseln über Geld. Oder wie man sich mit 50 noch mal gaaaanz neu erfindet. Dabei muss nach alter Mädchen Sitte viel gekichert werden, vor allem beim sich gegenseitig vorstellen. Oder: Zwei Männer interviewen sich gegenseitig. So lange und selbstreferenziell und redundant wie möglich. Inklusive zwei Minuten Gebrabbel, warum die Folge vier des Podcasts nun doch nicht am Freitag kam, weil, äh, … da kam was dazwischen … und jetzt halt später … und äh, ja … also … Folge fünf gibt’s dann gar nicht mehr, weil … ui, ganz schön aufwändig, diese Podcasterei …
Bei beiden Varianten scheint die Audio-Schnittfunktion mit einem Selbsttötungsmechanismus gekoppelt zu sein. Wieso auch sollte man aus einem 45- Minuten-Gelaber mit teils todlangweiligen Passagen einen 20-Minuten-Beitrag mit ausschließlich interessanten und/oder unterhaltsamen Passagen schneiden? Ja, wo kommen wir denn da hin??? Direkt in die Radio-Hölle kommen wir da und da gehören wir nicht hin, wir sind doch Podcaster!
Vielleicht hab‘ ich es ja schon mal durchscheinen lassen – mich nervt diese Entwertung des professionellen Audio-Handwerks kolossal. Überaus kolossal nervt sie mich bei Corporate Podcasts. Aber … ich hab‘ sowas wie Frühlingsgefühle, es knospt und grünt überall. Es gibt mehr und mehr Unternehmens-Podcasts, die richtig gut produziert sind. Deswegen hier ein paar Fundstücke, damit die nicht im paardiologisch fest-flauschig-gemischten Hack untergehen:
Fiction mit KI-Knopf im Ohr – Lufthansa, Backup
Man möge mich korrigieren – aber das scheint mir im Unternehmens-Bereich das gegenwärtig ambitionierteste Projekt zu sein. Auch wenn der Zeigefinger sagt: „Mimimi… mit nur fünf Folgen ist das doch kein Podcast!“ Ja, vielleicht. Aber lieber fünf Folgen auf diesem Niveau als 50 Folgen Flatulenz mit RSS-Feed.
Die Lufthansa Group also hat eine hörspielartige Fiction-Serie produzieren lassen über eine Frau, die ihr Gedächtnis verliert. Es geht um Familie, Beziehung und Künstliche Intelligenz im Ohr. Hochprofessionell produziert, mit einem Aufwand, den ich noch bei keinem deutschen Corporate Podcast gehört habe. Wobei sich das Corporate darauf beschränkt, dass die Lufthansa Group ein einziges Mal am Ende jeder Episode genannt wird. Over.
Hier geht’s zu Backup – Sag mir, wer ich bin.
Launiges Labern über Bauleidenschaft – Hornbach, Macher
Pit Brett – so sollte 2006 unser Protagonist für einen Baumarkt-Podcast heißen. Die Agentur, bei der wir vorstellig wurden, sah damals keine Heimat für Pit. Aber jetzt, ein paar Jahre später gibt es einen Hornbach-Podcast. Er heißt „Macher“ und wird gewohnt fein moderiert von Holger Klein, einem der wenigen Freestyle-Laber-Podcaster, dem ich gerne zuhöre – auch in seinem Resonator-Podcast für die Helmholtz-Gesellschaft.
Hier geht’s zu den Hornbach-Machern.
(Weiter unten links sämtliche Episoden im Überblick)
Strukturiert und gut montiert – Daimler, Headlights
Klare Struktur, kein ausuferndes Gelaber, kurze Teaser O-Töne zu Beginn und ein guter Sound. Naja, Großkonzern halt, die haben die Budgets. Aber: Einen Podcast so zu strukturieren ist keine Sache des Budgets, sondern des Gewusst wie. Also: Anhören, nachmachen! Ist konzeptionell eher als Recruiting-Podcast gestartet, hat sich aber nach und nach zum Meta-Podcast entwickelt. Ein gutes Vorbild, wie ein Industrieunternehmen mit Podcasts zum Medienproduzenten wird. Okay, für meinen Geschmack könnte er 10 Minuten kürzer sein:
Hier geht’s zu den Daimler-Headlights.
Reden über die großen Themen – DAK, Gesundes Miteinander
Disclaimer: Moderator René Träder ist ein ehemaliger Kollege von mir. Vielleicht deswegen fiel mir der Podcast sofort auf. „Ganz schön krank, Leute!“ aber zeigt vorbildhaft, wie z.B. Krankenkassen das Thema Podcasting bespielen können. Nämlich als eigenen journalistisch gedachten Kanal, der die großen Themen aufgreift und nicht zwanghaft schreit: „Wir sind die tollste Krankenkasse!“ Generationen-Zusammenhalt, Rassismus, Burnout, die Themen sind weit gefasst. Hier geht’s um Imagebildung – und um einen langen Atem. Gerade ist Folge 23 veröffentlicht worden. Ach so: Auch die Einbindung in die bundesweite Plakatkampagne der DAK ist designmäßig super.
Hier geht’s zum Podcast der DAK.
Versteckt und zugenäht – Merck Group, pro
Hier bin ich mir nicht sicher, ob der Podcast überhaupt gefunden werden will. Der „pro“ ist vermutlich nur als quasi interne Kommunikation für das Ökosystem der Merck Group gedacht. Die Themen sind Audio-Verlängerungen, Zweitverwertung der Themen aus dem Magazin „pro“ für Mitarbeiter, Kunden, Geschäftspartner. Und er hat nicht mal einen RSS-Feed. Uuuups, wieder ein Ausschlusskriterium. Egal, gerade weil er „nur“ intern gedacht ist, finde ich die Machart gut und spannend:
Hier geht’s zu „pro“ der Merck Group.
Habt Ihr weitere Beispiele für außergewöhnlich gut gemachte Corporate Podcasts? Ich freue mich über jeden Hinweis an:
kontakt(at)medienproduktion-muenchen.de
Wir hören uns!